7. August 2024

Die Deportation und Vernichtung der romaniotisch-jüdischen Gemeinde von Ioannina

Von editorial team

Editorial

Die Publikation ist den „Romanioten“ von Ioannina gewidmet, einer der der ältesten jüdischen Gemeinden Griechenlands und Europas. Vor 80 Jahren, am 25. März 1944, wurde diese Gemeinde nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort größtenteils ermordet. Die Geschichte dieser Gemeinde ist in Deutschland kaum bekannt, in Griechenland wird sie in den letzten Jahren in Forschung und Dokumentarfilmen erkundet.

Die Deportation in Ioannina hat ein Soldat einer deutschen Propagandakompanie auf 19 Fotografien festgehalten. Was diese Fotografien besonders macht, ist ihr Seltenheitswert und dass sie eine Reihe von Menschen – Überlebende, Angehörige, Zeitzeugen, Geschichtsforscher –  aus Ioannina, Athen, New York und Israel angestoßen haben, sich mehrere Jahre lang um die Identifizierung der abgelichteten Deportationsopfer zu bemühen. Ihnen gelang es, etwa 65  abgelichtete Opfer zu identifizieren. Mit dieser kollektiven Arbeit leisteten sie Widerstand gegen die totale Auslöschung des jüdischen Volkes, die die Nazis durch die physische Vernichtung und das Vergessen der Namen und der Kultur der Opfer erreichen wollten. An diese Arbeit knüpfen wir in Dankbarkeit an. Deshalb stellen wir die deportierten Opfer, die von den Nazis zu Zahlen herabgewürdigt wurden, mit ihren Namen –  einem unverzichtbaren Teil ihrer kulturellen Identität – in den Mittelpunkt dieses Heftes.

Die Chronik der Deportation wird ergänzt durch die Darstellung der Vorgeschichte der Verfolgung der Romanioten und der anderen jüdischen Gemeinden während der Besatzung Griechenlands. Dabei wird der Frage nachgegangen, wieso die menschlichen Verluste der drei größten jüdischen Gemeinden in Thessaloniki, Ioannina und Athen so verschieden hoch sind. Den Abschluss des ersten Teils bilden knappe Darstellungen zur Frage der materiellen Entschädigung Griechenlands und zur juristischen Aufarbeitung der von Deutschen in Griechenland begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Artikel und das Interview im zweiten Teil des Heftes befassen sich mit Fragen des Lebens der Romanioten Ioanninas, die auch ihr Leben heute beeinflussen:

  • Andreas Poltermann (Berlin) erzählt die Geschichte der griechischen Romanioten als Geschichte einer Minderheit in der Minderheit.
  • In einem Interview erzählt Ilias Negrin (Athen), Sohn der KZ Überlebenden Nina Negrin, von der außerordentlich schwierigen Situation der wenigen Juden und Jüdinnen bei ihrer Rückkehr nach Ioannina.
  • Die Künstlerin Adi Liraz (Berlin, Ioannina) erzählt anhand der Geschichten, die sie den verrosteten Nähmaschinen hinter der Synagoge entnimmt, von ihrer Suche nach ihrer romaniotisch-jüdischen Identität.
  • In seinem Artikel präsentiert Alekos Raptis (Ioannina) Dokumente, aus denen hervorgeht, wie Kollaborateure und Profiteure jüdisches Vermögen in Ioannina geplündert und unter sich verteilt haben.
  • Leon Nar (Thessaloniki) zeichnet den konfliktreichen Werdegang des romaniotischen Dichters und Intellektuellen Josef Eliya nach, der versucht hat, Hellenismus und Judentum zu verknüpfen.
  • Im letzten Artikel wollen Olga Drossou (Berlin) und Ioannis Stylianidis (Thessaloniki/Heidelberg) die beeindruckende Persönlichkeit von Moisis Elisaf würdigen, des ersten jüdischen Bürgermeisters Ioanninas und ganz Griechenlands, dem sie wenige Monate vor seinem Tod begegnet sind.

Wir möchten schließlich allen herzlich danken, die zu diesem Heft beigetragen haben. Unser Dank gilt in erster Linie den Autorinnen und Autoren der Artikel und Adi Liraz, die uns Fotos von ihrer künstlerischen Arbeit zur Verfügung gestellt hat. Ferner danken wir Matilda Carasso-Kavvasiadis, unserer sephardischen Freundin aus Thessaloniki und Panos Vadaloukas aus Ioannina, die mit kritischem Blick die Texte und Übersetzungen lektoriert haben, sowie Vivian Juri für die Unterstützung bei der grafischen Gestaltung des Heftes.

Diese Publikation ist Teil eines Projekts von Exantas Berlin e.V. und Respekt für Griechenland e.V., das die Berliner Landeszentrale für Politische Bildung gefördert und mit Interesse begleitet hat.

Die Verantwortung für die nicht namentlich gekennzeichneten Texte und alle Übersetzungen liegt bei
Dr. Andreas Poltermann und Olga Drossou.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre.

INHALT

Teil I

Die Besatzung Griechenlands durch die Deutschen und ihre Verbündeten
Die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Griechenlands
Die sephardischen Juden von Saloniki – keine Frage von nationaler Bedeutung
Die Juden In Athen – Widerstand ohne Illusionen
Die Romaniotischen Juden von Ioannina – Illusion der Sicherheit
Die Deportation der Romaniotischen Gemeinde von Ioannina
Nach dem Holocaust – Entschädigungen, Schulden und Schuld

Teil II

Eine Minderheit in der Minderheit – Die Romanioten von Ioannina – Andreas Poltermann
Wenn die Nähmaschinen erzählen…– Adi Liraz
Erinnerungen von Ilias Negrin – Ιnterview
Kollaboration und Plünderung des Vermögens der Juden von Ioannina – Alekos Raptis
Josef Eliya – Romaniotιscher Dichter und “Dissident” – Andreas Poltermann
Moisis Elisaf – Abschied von einem besonderen Menschen – Olga Drossou, Ioannis Stylianidis

Lesen Sie die Publikation hier: ROMANIOTEN_final (pdf, 22,7 MB)

Das Heft kann gegen einen Unkostenbeitrag von 3,00 EUR erworben werden. Bestellung per Email an info@exantas.de.