6. April 2021

Die politische Dimension der Sprache – und wie sie (nicht) übersetzt wird

Von editorial team

Überlegungen eines griechischen Übersetzers zu sprachlichen Problemen, die der aktuelle politische Diskurs aufwirft.

von Kostas Kosmas

Der Anstieg der Rechten ist ein in ganz Europa aktuelles Phänomen, das Anlass für die verschiedensten Analysen und Diskussionen liefert, seien sie historischer, politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Natur. Aber es gibt auch eine sprachliche Dimension. Ich beschränke mich auf einige Überlegungen zur Sprache und zu den Begriffen, die den Diskurs über dieses Phänomen bestimmen, und zu deren Entsprechung in den beiden Sprachräumen.

Die Kritiker der AfD werfen ihr „völkische Ideologie“ vor, was man im Griechischen spontan mit „λαïκή ιδεολογία“ übersetzen würde. Was sich jedoch im griechischen Kontext selbstverständlich positiv anhört, entspricht im Deutschen einer reaktionären Ideologie. Das Wort „λαός“ wird natürlich mit dem deutschen Wort „Volk“ wiedergegeben, das Adjektiv „völkisch“ klingt jedoch nach Blutsverwandtschaft oder nach einer Kultur, die das Bindeglied einer angeblich homogenen Gesellschaft in den Grenzen eines Nationalstaats bildet. Die scheinbar selbstverständliche aber letztlich komplizierte Wiedergabe des Nomens und des Adjektivs „Volk/völkisch“ im Griechischen als „λαός“ und „λαïκος“ wird noch verwickelter, wenn es darum geht, den Begriff „Völkische Bewegung“ ins Griechische zu übersetzen. Diese Bewegung, die im Zweiten Deutschen Reich (1871 – 1918) und in der Donaumonarchie entstand, beruht auf rassistischen und antisemitischen Vorstellungen und erfreut sich besonderer Wertschätzung bei der heutigen Rechten. Wenn man das mit „λαïκό κίνημα“ übersetzen sollte, würde man die schlimmsten Verwünschungen seitens der Linken auf sich ziehen, und im Übrigen würden selbst die Hühner lachen. Und um das Rätsel zu lösen, wie man denn im Deutschen den Begriff „λαïκό κίνημα“ wiedergibt: im Deutschen kann ohne Weiteres Worte zusammensetzen, was an die endlosen deutschen Güterzüge erinnert. So kann man z. B. den Begriff „Schlüsselloch der Kabine des Kapitäns der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft“ wiedergeben mit „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänskajütenschlüsselloch“, was eher zum Lachen ist, aber das zusammengesetzte Wort „Volksbewegung“ ist ungefähr das genaue Gegenteil von „völkischer Bewegung“.

Aber Spaß beiseite, lassen Sie uns fortfahren bei der Suche nach Entsprechungen von Begriffen, die auf den ersten Blick als selbstverständlich erscheinen: ein andere Strömung, die im Lager der deutschen Rechten aufgetaucht ist, ist die „Identitäre Bewegung“ (Identität = ταυτότητα): ihr Diskurs äußert sich selbstgefällig gelehrt, offen antieuropäisch, unterschwellig antiparlamentarisch, mystisch traditionsfixiert und drohend apodiktisch – im griechischen Kontext entspricht er etwa dem Sprachduktus eines emeritierten Theologie- oder Philosophieprofessors in der Tagespresse. Sollten wir den Begriff mit „Κίνημα Ταυτοτικών“ übersetzen? Verfehlt. Vielleicht mit „Κίνημα της Ταυτότητας“? Letzteres erscheint vielleicht möglich, auch wegen der sprachlichen Nähe zur politischen Kampagne des verstorbenen Erzbischofs von Athen Christodoulos gegen die Abschaffung der Religionszugehörigkeit in den Personalausweisen (ταυτότητα bedeutet sowohl Identität wie Personalausweis), ist aber auch verfehlt. Wenn es auch im Europäischen Parlament die rechtsgerichtete Fraktion „Identität und Demokratie“ gibt.

Apropos, ich spreche ständig von der „Rechten“ und nicht von der „extremen Rechten“, nicht ohne Grund: Im griechischen Kontext verbinden viele den Begriff „rechts“ mit einer Partei wie die Nea Dimokratia. Wenn wir aber auf Griechisch die Schwesterpartei der Nea Dimokratia in Deutschland, nämlich die CDU als „rechts“ oder auf Deutsch die Nea Dimokratia und ihre Fraktion im Europäischen Parlament als „rechts“ bezeichneten, befänden wir uns im Abseits. Die Bezeichnung „rechts“ ist den intoleranten, reaktionären, rassistischen und nationalistischen politischen Gruppen vorbehalten, die sich über die Errungenschaften und die gemeinsamen Annahmen der bürgerlichen Demokratie hinwegsetzen. Wieso sollte man die Parteien des demokratischen Spektrums mit ihren präzisen Zuordnungen (Konservative, Liberale, Sozialisten, Sozialdemokraten, Grüne usw.) in rechte und linke Schubladen stopfen? Irgendeine „lange Hachse“ würde herausragen … Aus irgendeinem Grund ist die Entsprechung der Begriffe „rechts/rechtsextrem“ zwischen den beiden Sprachen mehr als problematisch und äußerst interessant.

Weiter geht’s im selben politischen Rahmen, um eine allgemeine Feststellung zu bekräftigen: Die Aufnahme von Wörtern aus anderen Sprachen bedeutet eine Bereicherung und Differenzierung der eigenen Sprache, nicht eine Verarmung. Indem z. B. die deutsche Sprache den lateinischen Begriff „populus“ in Ergänzung zum deutschen „Volk“ übernimmt, hat sie die Möglichkeit, das Phänomen des „Populismus“ von Ersterem zu unterscheiden. Wie wäre unsere Art, über diese Phänomene nachzudenken, wenn wir im griechischen politischen Diskurs die Möglichkeit hätten zu sagen, dass die Politik der Partei X „populistisch“ sei?

Sicher differenzierter wie auch im Fall des Begriffes „politischer Diskurs“: Im Griechischen beschränken wir uns auf die griechische Wurzel („λόγος“), und so fällt die Differenzierung, die wir bräuchten, um den lateinischen Begriff „discursus“ wiederzugeben, unter den Tisch. Die Zurückhaltung einer Sprache, verwandte Begriffe aus anderen Sprachen zu übernehmen, wirkt sich in den meisten Fällen zu Lasten der Differenzierung aus wie im Fall des griechischen Wortes „δημοκρατία“, das sowohl „Demokratie“ wie auch „Republik“ bedeutet. Im Deutschen erlaubt die Benutzung des griechischen und des lateinischen Wortes die Unterscheidung zwischen dem politischen System und der Staatsform. Umgekehrt benutzt das Deutsche denselben Begriff „Gewalt“ für „εξουσία“ (pouvoir) und „βία“ (violence).

Da wir nun mal bei Differenzierungen mit aktuellem politischen Bezug sind: Die Rechten von der AfD greifen die „Diktatur der politischen Korrektheit“ und das „Gendern“ an. Wer differenzieren will, schreibt und spricht unter Beachtung der Geschlechterdifferenz, z. B. nennt er „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“.

Wenn auch oft mühsam, ist es sicher gerecht. Es reicht, nur mal die Begriffe auszutauschen und allgemein von den „Pensionen der Lehrerinnen“ oder den elenden „Bezügen der Putzmänner“ zu sprechen, um sich das klarzumachen. In offiziellen staatlichen Schreiben und in jeder offiziellen Äußerung (mit Ausnahme der AfD) ist z. B. von „Soldatinnen und Soldaten“ die Rede. Um den Pleonasmen zu entgehen, haben sich interessante alternative Schreibweisen etabliert: An Stelle von „Soldatinnen und Soldaten“ kann man kurz und politisch korrekt „SoldatInnen“ oder „Soldat*innen“ schreiben. Und noch etwas: Die Regierung der „rechten“ Angela Merkel hat festgelegt, dass in jeder Ausschreibung für einen Arbeitsplatz das Geschlecht angegeben wird mit: M/W/D, d. h. männlich, weiblich/divers – wie Letzteres wohl auf Griechisch wiedergegeben wird? Sicher nicht mit „neutral“!

Volk = λαός, völkisch = λαïκός, identitär = ταυτοτικός, rechts = δεξιός, Populismus = λαïκισμός, Diskurs = λόγος, Gewalt = βία+εξουσία. Wenn man im Lexikon nachschaut, sind das die vorgeschlagenen Entsprechungen, die, wie wir gesehen haben, problematisch sind. Die Feststellung, dass es keine Standardantworten gibt, ist sicher wertvoll, gleich ob man sich mit Übersetzungen beschäftigt oder mit der Politik.