5. April 2021

100 Jahre Bauhaus – Ein Gespräch mit Lukas Bartatilas

Von Editorial Team

Anlass des 100sten Jubiläums der Gründung des Bauhauses in Weimar hat das Goethe Institut Athen mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und in Zusammenarbeit mit dem Archiv Neugriechischer Architektur des Benakis-Museums und des Athener Konservatoriums die Ausstellung „Vom Gebäude zur Gemeinschaft: Ioannis Despotopoulos und das Bauhaus“ organisiert. Die Ausstellung fand vom 10. Oktober bis zum 7 November 2019 im Athener Konservatorium statt. Sie war Ioannis Despotopoulos gewidmet, dem einzigen griechischen Architekten, der die Anfänge des Bauhauses aus der Nähe erlebt hat.

Exantas traf in Berlin den Initiator und Organisator der Ausstellung, Loukas Barbatilas* und führte mit ihm das folgende Gespräch.

 

Für unser heutiges Gespräch ist natürlich das Bauhaus („B“) verantwortlich. Was ist vor 100 Jahren mit dieser Bewegung passiert?

Ich sehe zunächst, dass Sie den Begriff „Bewegung“ benutzen. Obwohl das vorherrschend ist, war das Bauhaus in Wahrheit weniger eine Bewegung als vor allem eine Hochschule. Es bestand 14 Jahre lang, von 1919 bis 1933, d. h. während der ganzen Dauer der Weimarer Republik. Das „B“ hatte in all den Jahren seiner Existenz kein bestimmtes Profil, es ist folglich eine Schule, die viele verschiedene Dinge aufnimmt und widerspiegelt, weshalb ich die Bezeichnung des „B“ als Bewegung meide. Despotopoulos, auf den sich die Ausstellung konzentrierte, fügt noch eine weitere Dimension des „B“ hinzu, da er es als Ergebnis der politisch-gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg und immer in Zusammenhang mit den ideologischen Prinzipien der Weimarer Republik beschrieb.

Wollen Sie uns ein paar Worte über die Geschichte sagen?

Die Hochschule wurde 1919 in Weimar durch Walter Gropius gegründet. Später wirkten dort verschiedene große Lehrer wie Wassily Kandinsky, Paul Klee, Itten, Moholy-Nagy und andere. Bezeichnend war für sie zunächst der Versuch, die Kunst mit dem Handwerk zu verbinden. Das heißt, es gab Werkstätten, wo jeder Student lernen konnte, wie ein Stuhl oder ein Tisch hergestellt wird, und gleichzeitig gab es die übrigen Kurse, wo Dozenten für Plastik und bildende Kunst sich um die Pflege der ästhetischen Dimension eines Gegenstandes kümmerten. Ziel war es, die Unterscheidung zwischen Künstler und Handwerker aufzuheben, damit beide Seiten zu einer Einheit finden. Die Philosophie der Hochschule war einerseits, die gesamte Kenntnis der industriellen Revolution für einen stärker sozialen Zweck aufzunehmen, und andererseits wegen des Grauens des vorangegangenen Ersten Weltkriegs die Idee zur Schöpfung einer neuen, anderen Welt zu vertreten, wo das Wohnen und die Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die die Hochschule produzieren würde, nicht nur eine praktische Funktion haben, sondern die Lebensweise der neuen Gesellschaft widerspiegeln würden, die der Hochschule vorschwebten.

Die Hochschule blieb aber nicht in Weimar…

In der Tat. Ihr Betrieb in Weimar dauerte bis zur Übernahme der Regierung in Thüringen durch die Nazis im Jahre 1925. Danach wurde sie nach Dessau verlegt, eine kleine Industriestadt, neben der es eine große Fabrik gab, wo die Vision des Bauhauses für eine Massenproduktion von Gegenständen Wirklichkeit werden konnte. 1926 wurde dort das bekannte Gebäude des „B“ eingeweiht, das alle bewundern und das zum Weltkulturerbe geworden ist. 1928 verließ Gropius die Hochschule und überließ seine Stelle dem Schweizer Hannes Meyer, der noch radikaler war und das „B“ weiter ideologisierte. Er verschob das Zentrum vom Gropius‘ Wahlspruch „Kunst und Handwerk: eine neue Einheit“ zu „Vorrang für die Bedürfnisse des Volkes und nicht des Luxus“, wie er selbst sagte. Er trat 1930 wegen politischer Differenzen zurück, auf ihn folgte der politisch „neutralere“ Ludwig Mies van der Rohe, der die Lehre des „B“ auf Entwurf und Architektur ausrichtete. Nach kurzzeitigem Umzug nach Berlin schloss das „B“ kurz nach der Machtübernahme der Nazis endgültig seine Pforten.

Macht der Titel der Ausstellung „Vom Gebäude zur Gemeinschaft“ zusammen mit dem, was Sie als Abkehr von der Mechanisierung der Produktion und Hinwendung zu sozialen Bedürfnissen beschrieben, aus dem „B“ nicht eine Antwort auf die industrielle Epoche?

Nicht genau. Das „B“ ist nicht nur eine Antwort auf die industrielle Epoche. Gropius arbeitete natürlich vor dem Krieg im Büro des Architekten Peter Behrens, der das bekannte Gebäude der AEG in Moabit, Berlin, gebaut hat und als erster vom Μarkenzeichen der Firma bis zum Gebäude alles entworfen hat. So führt Behrens in gewisser Weise die Idee des Gesamtkunstwerks in die Architektur ein, was auch Gropius‘ Vorgänger an der Kunstgewerbeschule Weimar tat, Henry van der Velde. Der Einfluss der industriellen Revolution auf die Gestaltung in eine neue Richtung gehört zum Geist der Epoche vor 1914, den Gropius durch seine Arbeit im Büro von Behrens und seiner Beteilung am Deutschen Werkbund aus erster Hand kennt. Er erkennt so die gute Seite der technologischen Entwicklung. Im folgenden Krieg erlebt er an der Front die erbärmliche Seite des technologischen Fortschritts, was ihn bei seiner Hinwendung zu sozialen Themen tief beeinflusst. Eine der Fragen, die sich ihm in dieser Zeit stellten, war, wie man die Technologie zum Nutzen der Gesellschaft einsetzen könne. Diese Vorstellung, das Bauhaus sei ein „Kind“ des Ersten Weltkriegs, das versuche, auf die sozialen und politischen Herausforderungen der Weimarer Republik Antworten zu geben, vertritt auch Despotopoulos. Er sagte, dass alle Schulen, die in der Folge versuchten, das Bauhaus lediglich auf gestalterischer Ebene nachzuahmen, letztendlich scheiterten, weil ihnen der soziale und politische Hintergrund der Verhältnisse der Weimarer Republik und Nachkriegsdeutschlands fehlten. Wenn man also die politische Dimension beim Verständnis des „B“ vernachlässige und es lediglich als Hochschule zur Gestaltung von Gegenständen sehe, könne man das „B“ nicht in seiner Tiefe verstehen.

Also können wir beim Anblick eines Gebäudes nicht sagen, dass dieses Gebäude zum „B“ gehöre?

Ich denke, so einfach lässt sich das nicht sagen. Der Umstand, dass wir ein Gebäude sehen und sagen, das sei „B“, ist später entstanden. Während der Nazizeit sind viele Absolventen des „B“ in andere Länder geflohen und haben dort ihr Werk fortgesetzt und haben natürlich einige der Prinzipien der Schule weitergegeben. Beim Verlassen des deutschen Rahmens jener Periode und mit der Öffnung zur Welt beginnt sich tatsächlich eine Strömung herauszubilden, jene „Bewegung“, von der wir vorher sprachen. Aber das „B“ hatte in seiner Heimat zur Zeit der Schule diese Merkmale nicht. Mit Ausnahme einiger Gebäude, die zu jener Zeit von Dozenten der Schule gebaut wurden und einem Gebäude für die Weimarer Ausstellung von 1923 (Haus am Horn) baute das „B“ keine Gebäude, während Architekturunterricht in den letzten Jahren der Schule aufgenommen wurde vor allem durch Mies van der Rohe. Hier stimme ich eher der Meinung zu, die besagt, dass die „Identifizierung“ des Bauhauses mit der Architektur und insbesondere mit einem konkreten „Stil“ erst im Nachhinein entstanden ist, d. h. nach dem Zweiten Weltkrieg.

Aber man kann sagen, dass es Einflüsse gibt?

Gewiss gab es Einflüsse, aber sehen wir zunächst, was genau beeinflusst wurde. Ich denke, wir müssen zunächst definieren, was das „B“ ist. Das „B“ ist, wie gesagt, nicht eine Sache, sondern viele. Aber das könnte nur schwer im Vorhinein bestimmt werden. Despotopoulos sagt, das „B“ sei ein Prozess des Verständnisses und der Anschauung der Realität und eine Methode zu lernen, wie man auf sie reagiert. Er legt das Gewicht auf den Prozess und nicht auf das Endresultat. Folglich sprechen wir auch über einen Verständnisprozess, der jemanden dazu führt, die Realität zu sehen und zu begreifen. Das ist, könnte man sagen, ein weiterer ebenso bedeutsamer „immaterieller“ Einfluss des „B“.

Gropius selbst sagte in seinem Manifest, das Ziel des Bauens sei das Gebäude. Wie verträgt sich Despotopoulos‘ Maxime mit dieser Richtlinie?

Hier liegt ein Paradox des Bauhaus-Manifests vor, das sagt, Ziel sei in der Tat das Gebäude, aber im Programm der Schule gab es z. B. keinen Unterricht in Gebäudekunde. Die meisten Semesterarbeiten, zumindest in den ersten Jahren, waren Arbeiten, die Gropius als Privatperson in seinem Architekturbüro übernommen hatte. Teile dieser Arbeiten brachte Gropius in die Schule, und die Studenten zeichneten Teile davon. Ein bezeichnendes Beispiel ist das Haus Sommerfeld in Berlin. Es handelt sich um ein expressionistisches Holzhaus, bei dem Teile des Hauses und die meisten Gegenstände von Studenten der Schule entworfen wurden.

Das „B“ versucht also, verschiedene Handwerke in ein Gebäude einzubeziehen. Können wir diese Elemente in einem Gebäude sehen?

Ja, aber es ist wichtig zu sagen, dass das „B“ zu einem Bruch mit der Vergangenheit führt und eine neue Anschauung des Gebäudes als eine Gesamtheit einführt. Die Philosophie des „B“ ist jedoch nicht nur das Gebäude als Konstruktion, sondern die Philosophie des Wohnens selbst. Es entspricht einem umfassenden Modell, das von den Treppen und Löffeln, das Einbringen von „Technologie“ in Bereiche des Raumes (z. B. die mechanisch zu öffnenden Fenster des Gebäudes in Dessau) bis hin zur Lebensweise der Bewohner geht. Und es bleibt nicht beim Gebäude stehen, sondern betrifft auch das Theater, die graphische Kunst und sogar die sozialen Beziehungen und Kontakte. Und das ist das Neue, das das „B“ bringt.

Versucht das „B“ also diesen Bruch herbeizuführen oder erkennt es einfach die Bedürfnisse der Leute und versucht, diese zu befriedigen?

Gute Frage! Vielleicht passiert auch beides, dass es nämlich mit neuen Ideen antritt und in der Folge auch gewisse Dinge inkorporiert, die aus der aktuellen Realität stammen. Auf jeden Fall war, was es einführte, zu jener Zeit ziemlich bahnbrechend. Johannes Itten zum Beispiel, der in Weimar den sogenannten „vorbereitenden Unterricht“ übernommen hatte, versuchte diese Tendenz für das Neue seinen Studenten vom ersten Semester an nahezubringen, indem er ihnen – grosso modo – sagte, dass sie im „B“ alles, was sie wissen, draußen vor lassen und alles von Anfang an neu lernen sollten. Zu diesem Programm gehörten u. a. Spaziergänge durch den Park, wo Atemübungen und Naturbetrachtung gelehrt wurde. Vegetarische Ernährung wurde eingeführt. Ein weiteres wichtiges Thema und Diskussionsstoff bis heute ist die Stellung und Rolle der Frauen in der Schule.

Wie kommt das „B“ nach Griechenland?

Das „B“ kommt zunächst nach Griechenland, wie viele andere Ideen der modernen Architektur, durch die internationalen Architekturzeitschriften. Aber um genau zu sein, war in den Kreisen der Architekten der Zwischenkriegszeit in Griechenland, soweit wir heute wissen, der Einfluss der „französischen Schule“ des Modernismus und vor allem Le Corbusier deutlich größer als das „B“. Ich wage die Behauptung, dass das „B“ in den 30er Jahren in Griechenland nahezu unbekannt war – natürlich mit gewissen Ausnahmen.

Wir können also sagen, dass es nach Griechenland mit dem Architekten Ioannis Despotopoulos kommt, zumindest mit jenem Geist, den ich zuvor erwähnte. Despotopoulos hatte zwischen 1922 und 1923 kurz in Weimar gelebt. Wir wissen bislang nicht, ob er als Student an der Schule immatrikuliert war oder ob er als 19jähriger Student der deutschen Sprache in Weimar in Kontakt mit den Kreisen des „B“ gekommen ist. Das halte letztendlich für eher unerheblich. Hingegen kam er in Kontakt mit den Ideen, den Menschen der Schule, setzte sein Architekturstudium in Hannover fort und zog später für kurze Zeit nach Berlin. In dieser ganzen Zeit und durch sein Leben in drei verschiedenen Städten kam er in Kontakt mit den Werken und der Kultur der Weimarer Republik, d. h. er lernte den Widerhall einer ideologisch-politischen Dimension der Architektur bei der Gestaltung einer Stadt kennen und begriff das Werk des „B“ in diesem Rahmen. Das ist meines Erachtens von größerem Interesse. Mit anderen Worten, das Bedeutendste ist nicht, dass er der einzige Grieche war, der auf das „B“ ging, sondern dass er das „B“ durch sein Leben im Deutschland der Zwischenkriegszeit auf eine besondere Art und Weise begreifen konnte. All das prädestinierte ihn besonders, sich auf die ideologische, politische und soziale Dimension der Architektur zu fokussieren. Man könnte sagen, dass sich hier die Basis seines Werks befindet.

Despotopoulos kehrt also 1930 nach Griechenland zurück…

Er kehrt 1930 zurück, da es das Schulbauprogramm zurzeit von Ministerpräsident Venizelos und Kultusminister Papandreou gibt. Nach der Kleinasiatischen Katastrophe und der dadurch verursachten demographischen Explosion gibt es Bedarf zum Bau von 3.000 Schulen im ganzen Land. Es ist das Programm, i

n das alle frisch gebackenen Architekten der Generation von Despotopoulos involviert sind und sozusagen sofort Arbeit bekommen. Er selbst wird aufgerufen, daran teilzunehmen, und folgt wieder nicht dem eingetretenen Pfad seiner meisten Kollegen, die ein Gebäude nach dem anderen bauen. Er selbst baut nur ein Gebäude und das nicht zu Ende, konkret die heutige Athener Grundschule Nr. 56 an Platons Akademie. Zur selben Zeit beginnt er, Texte zu produzieren, während der Einfluss Deutschlands noch frisch in ihm ist. 1933 veröffentlicht er seinen ersten großen Text mit dem Titel „Städtebau“, mit dem er im Wesentlichen ein Statement über die Art und Weise abgibt, wie er die Architektur sieht. Ebenfalls ist er in die bedeutende Konferenz der CIAM (Conférence International d’Architecture Moderne) 1933 in Athen involviert und parallel dazu baut er Krankenhäuser wie das „Sotiria“ in Athen und je ein anderes in Tripolis und Thessaloniki. Er beschäftigt sich also bewusst mit öffentlichen und nicht mit privaten Gebäuden.

Das ist übrigens auch der Beginn des „B“ in Griechenland…

Ich würde sagen, dass ist die Art und Weise, wie Despotopoulos das „B“ sah. Dass es wie in dem Nachkriegsdeutschland, das er selbst erlebt hatte, einen Bedarf an staatlicher Infrastruktur gab, wenn auch unter anderen Umständen und aus anderen Gründen.

Er selbst unterrichtet aber?

Zunächst nicht. 1941, Mitten in der der Besatzung wird er zum Professor am Polytechnikum Athen berufen. Hier ist von Interesse, dass er als Professor den Bau von Gebäuden unterrichtet, die, wie er selbst sagt, „geistigen und sozialen Funktionen“ dienen. Er spricht also von Museen, Bibliotheken, Kinos, Theatern usw., also Gebäuden, die einen sozialen und Erziehungscharakter haben und zugleich einen Raum bilden wo Bewohner zusammenkommen. Bezug ist genau das, die kleineren Städte und Siedlungen. Das Theater, die Bibliothek oder das Museum einer kleinen Stadt stellen einen Kern dar. Das Gewünschte in der Besatzungszeit, denke ich, war es nicht, so etwas zu bauen, aber Despotopoulos behandelte sozusagen die philosophische Dimension des Zwecks solcher Bauten für eine Stadt, und vielleicht hatte er die Vision einer neuen Gesellschaft, die sich nach der Besatzung ergeben würde, und arbeitete darauf hin, auch wenn die Dinge sich später anders entwickele sollten. Wenn wir das also aus der Vision einer sozialistischen Gesellschaft sehen, würden die Orte kultureller und sozialer Nutzungen aus Despotopoulos‘ Sicht potentiell als neue Zentren dieser Gesellschaften funktionieren.

Wie funktioniert das mitten in der Besatzungszeit?

Athen war damals nicht die Stadt, die sie heute ist, sondern viel kleiner. Und genau darauf bezieht er sich: auf die kleineren Städte und Siedlungen. Das Theater, die Bibliothek oder das Museum einer Kleinstadt bilden eine Keimzelle. Ich denke, in der Zeit der Besatzung ging es nicht darum, so etwas zu bauen, sondern Despotopoulos beschäftigte sich sozusagen mit der philosophischen Dimension der Bedeutung solcher Gebäude für eine Stadt und stellte sich vielleicht eine neue Gesellschaft vor, die nach der Besatzung entstehen würde, und arbeitete darauf hin, auch wenn die Dinge danach anders kamen. Aus der Sicht einer sozialistischen Gesellschaft betrachtet, können die Räume kultureller und sozialer Nutzung nach Despotopoulos’ Ansicht als neue Zentren dieser Gesellschaften fungieren.

Wann geschieht das? Vielleicht sollte die Frage besser lauten „was geschieht danach?“

Wegen der politischen Situation des Bürgerkriegs wird er von seiner Stelle am Polytechnikum 1946 entlassen. 1947 geht er nach Schweden auf Einladung von Leuten, die er während seines Aufenthalts in Deutschland kennen gelernt hatte. Schweden war gleichfalls ein Ort, wo ziemlich viele deutsche Intellektuelle während der Nazizeit Zuflucht gefunden hatten, und hier zeigt sich bei ihm wieder der deutsche Einfluss. Despotopoulos beteiligt sich am schwedischen Aufbauprogramm nach dem Krieg durch die Schaffung von Kulturzentren. Was er in den vorangegangenen Jahren am Polytechnikum gelehrt hatte, kann er jetzt anwenden und sehen, wie diese Bauten in der Praxis funktionieren. 1959 gewinnt er den Wettbewerb für den Bau des Athener Kulturzentrums, nimmt wieder seinen Platz am Polytechnikum ein und kehrt nach Griechenland zurück. Er lehrt am Polytechnikum bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1968. Seine internationale Anerkennung wird im Jahre 1964 durch seine Wahl zum Mitglied der Akademie der Künste in Berlin vollendet. Parallel dazu entwirft er die Vollendung des Kulturzentrums. Dieses Projekt stieß jedoch auf sehr viel Widerstand seitens seiner Kollegen und der damaligen Gesellschaft. Im Ergebnis wird als einziges Gebäude nur das Konservatorium gebaut, das leider an einigen Stellen bis heute unvollendet ist.

Um welche Einwände handelte es sich?

Der grundsätzlichste war, dass sich auf dem Grundstück, auf dem das Kulturzentrum gebaut werden sollte, bereits eine Reihe von älteren Bauten standen wie z. B. das Byzantinische Museum. Zunächst schlug er selbst vor, das Gebäude durch geeignete Mittel an eine andere Stelle des Grundstücks zu verlegen. Schließlich schlug er dessen Abriss vor. Da es jedoch bereits die Zeit war, in der Abriss der neoklassizistischen Bauten Athens für die Errichtung von Appartementhäusern begann, merkten die Leute, dass für den Bau des neu

en Athens begonnen wurde, das alte abzureißen, so dass sich Fragen der kulturellen Identität und des Gedächtnisses stellten. Daher stieß der Vorschlag, das Byzantinische Museum, eines der ersten Gebäude des neuzeitlichen Athens, abzureißen, auf sehr viel Widerstand.

Warum handelte es sich bei der Ausstellung im Athener Konservatorium?

Die Idee war, eine Veranstaltung den 100 Jahren des Bauhauses zu widmen, die sich auf Despotopoulos und insbesondere auf sein repräsentativstes Werk, das Gebäude des Konservatoriums, fokussieren würde. Das Gebäude selbst sollte also als Teil der Ausstellung funktionieren und parallel dazu sollte dadurch ein Bereich der Beziehungen zwischen dem „B“ und Griechenland geprüft werden. Es handelte sich im Wesentlichen um den ersten Versuch, Despotopoulos einem breiteren griechischen Publikum vorzustellen und bekannt zu machen. Da Despotopoulos keiner von den anerkannten und prominenten griechischen Architekten ist, kennen nur wenige die Gesamtheit seines Werkes, und die Ausstellung war eine Gelegenheit, dieses Publikum zu erweitern.

Es wurden also verschiedene Grundelemente seines Lebens und seiner Arbeit durch Reproduktionen und Ausstellung von Original Archivmaterial von Architektenentwürfen, Skizzen, Gemälden und seinen persönlichen Gegenständen vorgestellt. Planung und Graphiken wurden von MNP Design erstellt. Daneben wurde außerdem ein Veranstaltungsprogramm mit Vorführungen und Vorträgen über das „B“ und die Entwicklung der modernen Architektur in Griechenland organisiert. Ferner gab es pädagogische Programme für Kinder, ein Konzert des Konservatoriums mit Musik aus der Zeit des „B“ sowie häufige Führungen für das Publikum. Ferner wurde eine Anwendung fiktiver Realität durch CADU Architects gezeigt, in der die Besucher durch das Kulturzentrum wandern konnten, so wie Despotopoulos es entworfen hatte. Schließlich gab es etwas, was ich als sehr bedeutsam ansehe, als etwas Handgreifliches, was die Ausstellung hinterlässt, das Buch „Drei Texte zum Bauhaus“, das vom Goethe Institut und dem Benakis-Museum herausgegeben wurde. Darin werden drei Texte vorgestellt, die Despotopoulos über das „B“ geschrieben hat, der größte Teil des optischen Materials, das auf der Ausstellung vorgestellt wurde sowie eine Einführung von mir über Despotopoulos‘ Werk und die Beziehung zwischen dem „B“ und Griechenland.

Die Kombination all dieser Veranstaltungen mit der Ausstellung zeigt den Umfang des Unternehmens, und glücklicherweise hat das Publikum im Übermaß auf alles reagiert, was wir geplant hatten.

Wie war der Zulauf der Leute?

Es gab eine enorme Reaktion des Publikums, die wir, um ehrlich zu sein, zunächst nicht erwartet hatten, und eine eindrucksvolle Liste von Besuchern, von Studenten der kreativen und sozialen Wissenschaften, Studenten und Arbeitnehmern des Konservatoriums, die eine andere Seite des Gebäudes kennen lernten, in dem sie täglich leben, Menschen, die versteckte Stellen der Stadt kennen lernen wollen, bis hin zu alten Schülern von Despotopoulos, die etwas über ihren Kontakt mit ihm zu erzählen hatten, aber auch jene, die lediglich das Gebäude besuchen wollten oder Interesse an Architektur und an Athen haben. Es gibt also ein großes dynamisches Publikum in Athen, das sich mit der Stadt und ihrer modernen Geschichte beschäftigt, und das ist meines Erachtens das, was am meisten hoffen lässt.

Ich danke Ihnen sehr!

Auch ich danke Ihnen für die Diskussion!

Das Interview führte Georgios Laios 

 

* Lukas Barbatilas studierte Architektur in Volos und beendete sein post graduate Studium zum Thema „Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien“ an der Bauhaus-Universität in Weimar. Zurzeit arbeitet er an seiner Dissertation in der Abteilung Theorie – Geschichte der Architektur, unterstützt durch ein Bauhausstipendium derselben Universität, mit dem Thema „die internationale Dimension des Bauhaus“, fokussiert auf dessen Aufnahme in Griechenland durch Ioannis Despotopoulos. Seit 2010 lebt er in Berlin.