Pontische Spurensuche
An die Nordküste der heutigen Türkei wurden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kamingesprächs im Berliner Literaturhaus am 17. Februar 2024 entführt. Täter waren die Schriftstellerin Maria Topali und ihr Kollege Mirko Heinemann, die zumindest eines gemeinsam haben: Jeweils eine ihrer Großmütter wurde vor einem Jahrhundert aus dem Pontosgebiet vertrieben. Das war für beide der Anlass, sich auf Spurensuche zu begeben, jeder auf seine Art.
Mirko Heinemann, im Hauptberuf Journalist, fuhr in die Heimat seiner Großmutter nach Ordu (griechisch: Kotyora), recherchierte gründlich, nicht nur die Familiengeschichte, sondern auch den historischen Hintergrund der blutigen Vertreibung der jahrtausendealten griechischen Bevölkerung während des ersten Weltkriegs und während des griechisch-türkischen Krieges von 1919 bis 1922. Besiegelt wurde das Ende der griechischen Präsenz in der Region durch den Frieden von Lausanne (1923), der einen verpflichtenden Bevölkerungsaustausch vorsah: 1,5 Millionen Christen aus der soeben gegründeten modernen Türkei wurden gegen etwa 400.000 Muslime aus Griechenland ausgetauscht, ob sie wollten oder nicht. All das lässt sich in Heinemanns Buch ‚Die letzten Byzantiner‘ (Berlin, Links-Verlag, 2019) hervorragend nachlesen.
Ganz anders das Buch von Maria Topali. Hier stehen Gedichte im Mittelpunkt, die von Birgit Hildebrand ins Deutsche übertragen und zum Teil auch während der Veranstaltung vorgetragen wurden. In den Gedichten kommen die Gefühle der Autorin in Bezug auf ihre pontische Herkunft zum Ausdruck. Ergänzt werden sie durch Prosatexte, die eine sehr persönliche Sichtweise auf die verschiedenen vom Pontos stammenden Familienmitglieder der Autorin zum Inhalt haben. Dabei geht es nicht zuletzt darum, wie die Älteren die Flucht und die Vertreibung aus der alten Heimat erlebt und verarbeitet hatten. Aber auch das Weiterleben einer ausgeprägten pontischen Identität, des pontischen Dialekts sowie alter pontischer Traditionen im modernen Griechenland werden thematisiert. Eine historische Einordnung durch den anderen Autor des Abends, Mirko Heinemann, rundet das nur in deutscher Sprache erschienene Buch ‚Wurzeln langziehen‘ vom Maria Topali (Karlsruhe, Edition Converso 2023) ab.
Das Thema des Abends, der von EXANTAS gemeinsam mit dem Berliner Verein der Pontier ‘I IPSILANTIDES’ organisiert wurde, traf ganz offensichtlich auf das Interesse des Publikums. Der Saal war voll besetzt, und niemand verließ die Veranstaltung vorzeitig. Der Moderator des Abends, Martin Knapp, empfahl die Lektüre beider Bücher. Dabei sollten alle, die mit dem Thema Pontos noch nicht so vertraut sind, idealerweise zunächst das Buch von Mirko Heinemann und dann das von Maria Topali lesen.